Dieses Stück war eine Provokation: In der Karwoche des Jahres 1705 führte Reinhard Keiser in Hamburg zum ersten Mal eine Passionsmusik auf, die gar nicht nach frommen Gottesdienst, sondern eher nach Oper klang. Kein Wunder, denn Keiser leitete zu dieser Zeit sehr erfolgreich das Hamburger Opernhaus am Gänsemarkt und sorgte mit seinen Bühnenwerken für Furore. Doch darf man diese Dramatik (inklusive singender Frauen und szenischer Ansätze) auf die Passion Jesu übertragen? Diese Frage löste damals heftige Kontroversen aus.
„Der blutige und sterbende Christus“ von Reinhard Keiser gilt als Grundstein für die Gattung des Passionsoratoriums, die im 18. Jahrhundert in weiten Teilen des protestantischen Deutschlands sehr populär wurde. Im Libretto von Christian Friedrich Hunold wird die Passionsgeschichte ohne direkte Zitate aus dem Neuen Testament, sondern ausschließlich mit zeitgenössischer Poesie berichtet. Die Handlung kann dadurch – wie in der Oper – unmittelbar verfolgt werden. Ganz operngemäß gelingt es Keiser, die handelnden Personen in den vielen kurzen Arien und Ariosi musikalisch sehr treffend zu charakterisieren (der leidende Jesus, der ungestüme Petrus, aber auch die mitfühlende „Tochter Zion“).
Die in Weimar beheimateten Ensembles Cantus und Capella Thuringia haben das kleinteilige und dennoch abendfüllende Oratorium überaus feinfühlig umgesetzt. Sehr wirkungsvoll wurden die musikalischen Kontraste der Protagonisten herausgearbeitet, von tief melancholischen Passagen bis zur offenen Dramatik. Präzise und mit vielen instrumentalen Farben ist das Orchester zu hören, der Chor hat einen schlanken und ausdrucksstarken Klang, die Vokalsolisten sind durchweg mit Spezialisten für Alte Musik besetzt. In dieser Interpretation ist Keisers Passionsoratorium eine sehr willkommene Bereicherung für das barocke Repertoire der vorösterlichen Zeit.
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