Als Johann Sebastian Bach im Frühjahr 1723 sein Amt als Thomaskantor und Städtischer Musikdirektor in Leipzig antrat, erwartete ihn dort eine Vielzahl neuer Aufgaben. Er war nicht nur für die Organisation und Leitung der Kirchenmusik in den Hauptkirchen zuständig, sondern auch für viele weitere musikalische Aktivitäten in der Messetadt, etwa die Begleitung von Jubelfesten, Beerdigungen, Ratswahlen und akademischen Ereignissen. Hinzu kam der tägliche Unterricht in der Thomasschule und die Unterweisung etlicher Privatschüler. 1729 übernahm Bach noch die Leitung des Collegium musicum, eines vorwiegend aus Studenten bestehenden Orchesters, das wöchentlich in einem Kaffeehaus der Stadt auftrat.
Im Mittelpunkt des Schaffens von Bach in Leipzig stand jedoch die Musik im Gottesdienst und als ihr traditionelles Kernstück die mit Chor, Solisten und Orchester dargebotene Kantate. Sie erklang an jedem Sonn- und Feiertag direkt nach dem Evangelium und fungierte somit als eine Art musikalischer Kommentar zum gelesenen Bibelwort. Bach formierte hier während seiner Leipziger Amtszeit das enorme Repertoire von mindestens 200 Kantaten. Mit wesentlich weniger Kompositionen widmete er sich dagegen der älteren Gattung Motette, deren Blütezeit im 16. und frühen 17. Jahrhundert gelegen hatte. Zwar wurden auch noch zu Bachs Zeiten regelmäßig A-cappella-Werke im Gottesdienst aufgeführt, der Thomaskantor konnte hierbei aber auf zahlreiche vorhandene Stücke zurückgreifen und entschloss sich lediglich im Ausnahmefall zur Neukomposition. Dennoch sind diese sechs großen Motetten von Bach absolute Ausnahmewerke der Chorliteratur: Sie warten mit Virtuosität und höchstem Anspruch auf, sind theologisch bis ins Detail durchdacht und enorm ausdrucksstark.
Das Ensemble Pygmalion hat diese Motetten nun neu eingespielt. Man könnte denken, dies sei angesichts der vielen bereits existierenden Aufnahmen überflüssig. Doch schon die ersten Takte des ersten Werkes – „Lobet den Herrn alle Heiden“ – belehren eines Besseren. Mit geradezu jubilierender Leichtigkeit, kombiniert mit einem raschen Tempo wird diese Psalmvertonung vorgetragen. Die Grundidee der Interpretation von Raphaël Pichon ist damit von Anfang an klar: Ihm liegt an einer hochemotionalen, unmittelbaren Umsetzung der theologischen Inhalte dieser Motetten. Durchaus in französischer Tradition setzt er dabei stark auf die rhythmische Komponente – im Booklet beschreibt er das selbst als einen „Tanz des Geistes“. Und tatsächlich, in dieser rhythmischen Akzentuierung erhalten Motetten wie „Der Geist hilft unser Schwachheit auf“ oder „Singet dem Herrn“ eine völlig neue Klangdimension. Und wie die Details ausgearbeitet sind! Allein der Beginn der Motette „Komm, Jesu, komm“ spricht da Bände – wie diese ersten Akkorde als Steigerung interpretiert werden, wie in den Pausen die Spannung erhalten wird, wie der große Bogen zu erkennen ist. Oder die Motette „Fürchte dich nicht“: Hier hat man zu Beginn den Eindruck einer zunächst ängstlichen Menge, die sich flüsternd das „Fürchte dich nicht“ zuspricht und dann allmählich Mut und Gottvertrauen fasst, um in der Fuge „denn ich habe dich erlöset“ zu einem absolut charmant-gelassenen Ton überzugehen, der von kompletter Furchtlosigkeit zeugt.
Das funktioniert natürlich nur mit einem exzellenten Ensemble. Die Sängerinnen und Sänger folgen ihrem Dirigenten auch in den virtuosesten Passagen scheinbar mühelos in größtmöglicher Perfektion und präsentieren darüber hinaus eine sehr gute Textverständlichkeit. Hinzu kommt ein abwechslungsreich besetzter, schlagkräftiger Continuo, der für eine sichere Grundierung sorgt.
Doch damit nicht genug: Ergänzt werden die Bach-Motetten auf dem neuen Album durch drei wesentlich ältere Werke aus dem „Florilegium Portense“, jener Motettensammlung, die Bach in Leipzig immer wieder für Aufführungen genutzt hat. Die Konfrontation dieser weit schlichteren Werke gegen Bachs Motetten ist mutig, gelingt aber angesichts der hervorragenden chorischen Leistung bestens.
Das Ensemble Pygmalion unter Leitung von Raphaël Pichon hat damit ganz klar eine neue Referenzeinspielung der Bach-Motetten vorgelegt!
Rezension auch auf rbbkultur als "Neue Aufnahme" am 29.10.2020.
Chormusik - Die Motetten von Telemann
30. April 2025 00:05 - 30. April 2025 01:05
Deutschlandfunk Kultur
Das Komponieren von Motetten gehörte für Georg Philipp Telemann – wie auch für seinen Kollegen Johann Sebastian Bach – nicht zum musikalischen Kerngeschäft. Wohl aber war Telemann sehr eng mit der Motettenpraxis vertraut und schuf rund zwei Dutzend entsprechende Werke über Choräle oder Bibelzitate, in denen er alle Regeln der kontrapunktischen Kunst souverän anwendete. Der Magdeburger Kammerchor hat diese Werke, die zum Teil erst Ende des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt worden sind.... Weitere Termine zeigenWeniger zeigen
Schrammek & Käther - die besten Suiten
10. Mai 2025 14:00 - 10. Mai 2025 16:00
rbbKulturMasurenallee 8-14Berlin,14057 Karte
Die Gattung der Suite als eine Aufeinanderfolge unterschiedlicher musikalischer Sätze hat schon etliche Jahrhunderte überdauert. In der Barockzeit war es eine Modeform für alle nur denkbaren Instrumente und Ensembles, aber auch im 19. und 20. Jahrhundert haben viele Komponisten die Suite wiederentdeckt, häufig als originelle Zusammenstellung der wichtigsten Stücke eines abendfüllenden Bühnenwerks. Höchste Zeit für Schrammek & Käther, en suite die zehn besten Suiten zu ermitteln.... Weitere Termine zeigenWeniger zeigen